(Prime Quants) – Handelsstrategien gibt es wie Sand am Meer. Da wären z.B. das Kurs-Gewinn-, Kurs-Buchwert-, Kurs-Umsatz- oder Kurs-Cashflow-Verhältnis der fundamentalen Analyse nennen. Oder die unzähligen Indikatoren der markttechnischen Analyse. Auf- und Abwärtstrendgeraden, Pattern oder Muster hingegen sind Teil der charttechnischen „Lehre“, die sich wiederum auch in spezielle Teilbereiche, wie etwa die Analyse der japanischen Kerzencharts oder Elliott-Waves, gliedert. Manch einer vertraut auch auf Gann-Linien, Neuronale Netze oder versucht mit Hilfe der Sentiment-Technik „überkaufte“ bzw. „überverkaufte“ Marktanomalien auszunutzen. Anderen hingegen reichen einfache Durchschnittsberechnungen, wie die 200-Tage-Linie, um die Kurse in verschiedene Trendkategorien einzuordnen und daraus Kauf- oder Verkaufssignale abzuleiten.
Aber welche Strategien funktionieren? Um dieser Frage auf den Grund zu gehen, benötigen Sie zwei Dinge: Geld und Zeit. Erstgenanntes wird z.B. für die Analyse-Software und die Kursdaten fällig. Wir arbeiten mit Investox, das in der XL-Version 940 Euro kostet. Allerdings werden Sie schnell merken, dass die Zusatzmodule durchaus sinnvoll sind und so kommt man dann doch auf roundabout 3.400 Euro. Doch Handelsstrategien wollen auch unter realen Marktbedingungen getestet werden, und so müssen neben End-of-Day (Tagesdaten) zusätzlich Realtime-(Echtzeit)Kurse eingekauft werden. Je nach Datenqualität stehen Ihnen hier verschiedene Anbieter zur Auswahl. Für eine solide Basisausstattung können Sie grob mit 3.000 Euro pro Jahr rechnen. Für Geschäftskunden – also falls Sie ihre Analysen auch veröffentlichen wollen – wird der Spaß natürlich gleich um einiges teurer.
Nun gut, Sie sind jetzt mit einer Analyse-Software und Kursdaten ausgestattet. Zudem haben Sie Ihren Trading-PC aufgerüstet, da Sie schnell festgestellt haben, dass es schlicht unmöglich ist, professionelle Systeme zu entwickeln, wenn Ihnen nur ein Bildschirm zur Verfügung steht. Das erste Jahr als „Systementwickler“ dürfte sie dann Pi mal Daumen 7.000 bis 8.000 Euro kosten. An dieser Stelle ist festzuhalten, dass bislang noch kein System entwickelt wurde.
O.K., aber weiter im Text, denn jetzt wird es spannend. Der „angehende“ Trade taucht nun in die Materie der Systemprogrammierung ein – und stellt sogleich fest, dass „Programmieren“ ja doch nicht so einfach ist. Klar, die 200-Tage-Linien-Strategie ist mit den vorgefertigten Algorithmen schnell umgesetzt, doch leider hat sich dieser Ansatz nicht als „heiliger“ Gral entpuppt. Es muss also Hilfe her und so verbuchen wir im Soll auf unserem Ausgabekonto schnell noch Gebühren zwischen 2.000 und 5.000 Euro für entsprechende Schulungen und Fachliteratur.
Jetzt kann es aber endlich losgehen. Testen, Testen, Testen ist angesagt. Zuerst: Gleitende Durchschnitte. Ergebnis: Funktioniert, aber leider nur bei einem Trading-Konto jenseits von 100.000 Euro. Es folgt daher die gesamte Palette, die wir eingangs aufgezählt haben. Und die Ergebnisse sind ernüchternd. Japanische Kerzencharts? Blödsinn. Charttechnik? Im Endeffekt auch nicht besser als ein Münzwurf. Neuronale Netze? Leider ist der Computer doch nur so intelligent, wie derjenige, der davor sitzt. Indikatoren? Alle nachlaufend und unter Berücksichtigung von Handelsgebühren nicht zu gebrauchen.
Mit dem Test-Marathon dürften nun drei bis vier Jahre ins Land gezogen sein. Außer Paper-Trading mit ernüchternden Ergebnissen ist allerdings nicht viel rumgekommen. Die Erkenntnisse beschränken sich darauf, dass man leider nur weiß, was alles nicht funktioniert. Doch damit lässt sich bedauerlicherweise (noch) kein Geld verdienen. Neben unzähligen unbezahlten Arbeitsstunden hat der Spaß nach vier bis fünf Jahren spielend 20.000 Euro gekostet. Was hätte man mit dem „schönen“ Geld nicht alles machen können?
Aufgeben kommt aber dennoch nicht in Frage. Im Sinne eines Henry Ford „Misserfolg ist lediglich eine Gelegenheit, mit neuen Ansichten noch einmal anzufangen“ heißt es nun: „Back to the roots“. Die Ansätze werden simpler, doch die Umsetzung umso komplizierter. Denn klar ist, jede Analyseform, die ausschließlich auf dem historischen Verlauf der Kurse beruht, ist nicht zu gebrauchen. Ausnahme: Trendfolgende Systeme, die aufgrund der niedrigen Trefferquote aber starke Nerven und ein hohes Cashpolster benötigen. Einfache Indikatoren-Systeme bzw. der komplette Bereich der Charttechnik fallen also weg. Der Fokus wird nun auf den tatsächlichen Handel gelegt. Wo war das meiste Interesse? Wo trocknet das Volumen aus? War dieses Level in der Vergangenheit schon gefragt. Wie schaut die Interessenslage im Augenblick aus. Kurzum: Es wird nicht gegen den DAX gehandelt, sondern gegen die anderen Marktteilnehmer – denn es muss ja jemand verlieren, damit Sie gewinnen können. Vor diesem Kontext ist es natürlich äußerst interessant zu wissen, was die Masse gerade tut. Das Motto lautet nun: Reaktion statt Aktion. Der Blick geht hinter die Kulissen.
Die System-Kennzahlen können dabei richtig eingeordnet werden. Trefferquoten von 90 Prozent wurden dementsprechend schon längst ins Märchenland abgeschoben. Folglich gewinnen Money- und Risikomanagement an Bedeutung. Heißt: Der Drawdown wird plötzlich wichtiger als der Netto-Profit. Aber nach all den Strapazen und den hohen Ausgaben ist man dann doch auch stolz, wenn die Kapitalkurve schließlich – wie auf der Grafik – am Ende konstant Richtung Norden zeigt und sich der Ansatz im realen Handel bewährt.
Erfolgreiche Trades wünscht
Ihr
Sebastian Jonkisch
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Dipl.-Volkswirt, Full-Stack Engineer, Hobbytischler